Newsletter Dezember 2004  

 
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freunde!

Das Europäische Parlament hat heute mit 407 Stimmen gegen 262 Stimmen bei 29 Enthaltungen grundsätzlich dem Europäischen Rat die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei empfohlen.

Die Sozialistische Fraktion und die Grüne Fraktion haben fast geschlossen für die Beitrittsverhandlungen gestimmt, während unsere EVP-ED Fraktion mit Mehrheit und die Liberale Fraktion zum Teil dagegen gestimmt haben.

Innerhalb der EVP-ED Fraktion sind klar die französischen, österreichischen und deutschen Abgeordneten gegen die Aufnahme der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei eingetreten, während die italienischen und spanischen Abgeordneten klar dafür gesprochen haben. Die letztere Haltung dürfte sich daraus ergeben, daß Spanien und Italien eindeutig wirtschaftliche Interessen im Handel mit der Türkei (einschließlich Waffenexporte) verfolgen und daß ihre nationalen Parteivorsitzenden dem Drängen des amerikanischen Präsidenten zugunsten der Türkei gefolgt sind. Interessanterweise treten zumindest nach außen auch die griechischen Abgeordneten für die Türkeiverhandlungen ein, weil sie ebenfalls unter amerikanischem Druck stehen und ansonsten Repressalien der Türkei in der Ägäis befürchten.

Noch ist die "Europäische Union" nicht verloren. Selbst die Mehrheit des Europäischen Parlaments hat die Auffassung vertreten, daß die Beitrittsverhandlungen nicht automatisch auch zu einem Beitritt führen. Ferner sollten wir die endgültige Entscheidung des Europäischen Rates in den nächsten Tagen über die Aufnahme der Beitrittsverhandlungen und über die vom Europäischen Rat dabei gesetzten Bedingungen abwarten. Schlußendlich bleibt offen, ob die Verhandlungen tatsächlich zu einem Beitrittsvertrag mit der Türkei führen und ob dann - in 7 bis 15 Jahren - alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union diesen Beitrittsvertrag auch ratifizieren.

 

Der Bericht des Auswärtigen Ausschusses zur Türkei-Abstimmung

Grundlage für die Abstimmungen im Europäischen Parlament zur Türkei war der Bericht aus dem Auswärtigen Ausschuß mit dem Titel "Fortschritte der Türkei auf dem Wege zum Beitritt". Wegen der beitrittsfreundlichen Haltung der Sozialistischen Fraktion und der Liberalen Fraktion ist der Bericht in sich unschlüssig geworden. Denn einerseits empfiehlt er die Aufnahme der Beitrittsverhandlungen - (Das E P)

 "60. fordert den Europäischen Rat in Erwägung der im Bericht der Kommission erläuterten Fortschritte insgesamt und unter Berücksichtigung des Inhalts dieser Entschließung auf, unverzüglich Verhandlungen mit der Türkei aufzunehmen;"-,

 und andererseits legt der Bericht über viele Ziffern offen dar, daß die Voraussetzungen hierfür, nämlich die Erfüllung der politischen Kriterien von Kopenhagen, nicht gegeben sind. Siehe die folgenden weiteren Ziffern des Berichtes : (Das E P)

 "1. ... vertritt aber dennoch die Ansicht, dass die türkischen Behörden noch weitere Reformen verabschieden und durchführen sowie die gegenwärtigen Reformen in die Praxis umsetzen müssen, damit die politischen Kriterien in vollem Umfang erfüllt werden;"

"6. ... fordert die (türkische) Regierung auf, ihre Anstrengungen zu verdoppeln, um zu verhindern, dass Menschenrechtsaktivisten und Organisationen, die sich für die Menschenrechte einsetzen, eingeschüchtert oder verfolgt werden;"

"9. ... fordert die türkische Regierung auf, alle noch bestehenden Beschränkungen im Bereich Rundfunk und Bildung in Minderheitensprachen aufzuheben;"

"12. fordert die türkischen Behörden nachdrücklich auf, auf allen Ebenen und in jeder Hinsicht uneingeschränkt eine Politik der „Null-Toleranz“ umzusetzen, um Folter vollständig auszumerzen, da türkischen Regierungsstellen und Menschenrechtsorganisationen nach wie vor Fälle von Folter angezeigt werden und der Ansatz der „Null-Toleranz“ nicht ausreichend in die Praxis umgesetzt wird;"

"25. begrüßt die Reformen, die den Grundsatz der Gleichheit von Männern und Frauen gestärkt haben, und hebt hervor, dass im neuen Strafgesetzbuch Fortschritte bei der Achtung der Rechte der Frauen eingeführt werden, aber wiederholt seine Sorge, dass häusliche Gewalt und andere Formen der Gewalt gegen Frauen nach wie vor weit verbreitet sind, insbesondere in unterentwickelten und ländlichen Teilen des Landes, ..."

"37. fordert die türkischen Behörden erneut auf, unverzüglich allen Tätigkeiten ein Ende zu setzen, die religiöse Minderheiten und Gemeinschaften diskriminieren und sie behindern, u.a. in den Bereichen Eigentumsrechte, Rechtsstatus, Schulen und interne Verwaltung, Bestimmungen für die Umweltplanung und Ausbildung des Klerus; ..."

"38. ... vertritt die Auffassung, dass dieser Abzug der türkischen Truppen (aus dem nördlichen Teil Zyperns) einen notwendigen Schritt im Hinblick auf eine weitere Entspannung der Lage, die Wiederaufnahme des Dialogs zwischen den Parteien und die Vorbereitung einer dauerhaften Lösung darstellt; fordert die türkischen Behörden auf, die Republik Zypern anzuerkennen;         

Immerhin schlägt der Ausschußbericht in der Ziffer 55 dem Plenum vor, zu betonen,

" dass die Aufnahme der Verhandlungen Ausgangspunkt für einen lange dauernden Prozess sein wird, der per se ein Prozess mit offenem Ausgang ist und nicht a priori und automatisch zum Beitritt führt; unterstreicht, dass das Ziel der Verhandlungen die EU-Mitgliedschaft der Türkei ist, dass die Verwirklichung dieses Ziels aber von den Anstrengungen beider Seiten abhängen wird; weist daher darauf hin, dass der EU-Beitritt nicht automatisch die Folge der Aufnahme der Verhandlungen ist;"